April 26, 2024

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Deutschland: Wenn das Wirtschaftsmodell zusammenbricht

Deutschland: Wenn das Wirtschaftsmodell zusammenbricht

Eine Rezession scheint in den kommenden Monaten unausweichlich. Doch jenseits des wirtschaftlichen Jetpacks schwächelt Experten zufolge das Wirtschaftsmodell der ersten europäischen Macht.

Deutschland wird voraussichtlich am Freitag halbmastige Wachstumszahlen für das zweite Quartal liefern, getrübt durch die Folgen des Krieges in der Ukraine. Eine Rezession scheint in den kommenden Monaten unausweichlich.

Doch jenseits des wirtschaftlichen Jetpacks schwächelt Experten zufolge das Wirtschaftsmodell der ersten europäischen Macht.

Es gibt keine billige Energie

„Der Krieg in der Ukraine setzt dem deutschen Wirtschaftsmodell ein Ende“, stellen die Analysten der ING Bank fest und verweisen auf „billige Energieimporte und Industrieexporte in einer zunehmend globalisierten Welt“.

Billiger zu produzieren und zu transportieren, trägt Gas aus Russland seit Jahrzehnten zum Wohlstand der deutschen Industrie bei, die 30 % des in Deutschland verbrannten Gases verbraucht.

Mehr als die Hälfte des importierten Gases stammte vor dem Krieg in der Ukraine aus Russland. Dieser Anteil ist auf 35 % gestiegen.

Um russisches Gas ganz abzuschaffen – Berlin hat sich Mitte 2024 zum Ziel gesetzt – sucht Deutschland nach teureren Energiequellen – Gas aus Norwegen, den Niederlanden, Flüssigerdgas aus den USA oder Katar – oder intermittierender Solar- oder Windkraft.

Die Globalisierung hat übernommen

„Deutschland profitiert als Exportland mehr als andere Länder vom Freihandel. Aber genau darum geht es“, beklagte die Süddeutsche Zeitung im Juli.

Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben die Verwundbarkeit von Volkswirtschaften offengelegt, wenn Lieferketten beschlagnahmt werden und kritische Komponenten wie Halbleiter nicht mehr importiert werden können.

Besonders betroffen war die deutsche Industrie, allen voran die Automobilbranche.

Nach der niederschmetternden russischen Ernüchterung bereitet Berlin die Abhängigkeit von China Sorgen: Sie sei „nicht gesund“, räumte der Finanzminister, der Ultraliberale Christian Lindner, ein.

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China ist Deutschlands größter Handelspartner geworden. Der Handel zwischen den beiden Ländern soll 2021 um weitere 15,1 % zunehmen.

„Das ist ein neues Risiko“, sagte Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kempert der Nachrichtenagentur AFP. Nicht so wichtig wie Russland, sagte er, „aber wir müssen eine selbstbewusstere und widerstandsfähigere Volkswirtschaft aufbauen.“

Suche eifrig nach Arbeitskräften

Überschattet von den Folgen des Krieges in der Ukraine ist der Arbeitskräftemangel für viele Unternehmen in einem Land mit alternder Bevölkerung ein Hauptproblem.

Zu den bestehenden Millionen offenen Stellen „braucht Deutschland in den nächsten zehn Jahren jedes Jahr 500.000 zusätzliche Arbeitskräfte“, sagt Marcel Fratscher, Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Der Experte sieht darin eine „Bedrohung der Wettbewerbsfähigkeit und des Wohlstands des Landes“.

Ausrüster Continental warnte im Juli: Deutschland „braucht dringend eine kontrollierte Einwanderung“.

Inflationsschock

Inflationsängste, die nach Jahren stagnierender Preise überraschend zurückgekehrt sind, haben kein EU-Land verschont.

Doch in Deutschland sorgt der Schock der Hyperinflation der 1920er Jahre weiterhin für öffentliche Diskussionen.

Die Besessenheit von Preisstabilität ist mit der „Aufrechterhaltung einer wettbewerbsfähigen Industrie und einer Nation von Sparern“ verbunden, erinnerten sich kürzlich zwei Ökonomen der OFCE.

In einem Land mit moderaten Löhnen steigen die Forderungen: Im Juli gab es die längste soziale Bewegung in deutschen Häfen seit 40 Jahren.

Die IG Metall fordert 8 % Lohnerhöhungen für die 3,8 Millionen Beschäftigten der Branche, die höchsten seit 2008.

Und das Magazin Spiegel fragt sich: „Ist die Bewegung der Gelbwesten in Deutschland eine Bedrohung?“. „Wenn der Mittelstand zusammenbricht, bricht alles zusammen“, befürchtet die Zeitung.

Ein Trugbild der Strenge

Eine Rückkehr zur Haushaltsorthodoxie, einer Säule des deutschen Modells, im nächsten Jahr? Ökonomen von ING warnen, die Zielvorgabe des Finanzministers sei „etwas überraschend“.

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Nach dem Aufbrechen eines schweren Lockdowns während der Coronavirus-Pandemie steht Deutschland vor einer erneuten Energiekrise und gibt Milliarden aus, um Haushalte und Unternehmen zu unterstützen, während die beschleunigte Energiewende enorme Investitionen umfasst.

„Deutschland wird Zeit und Geld brauchen“, warnt ING, „um die Investitionen und strukturellen Veränderungen umzusetzen, die in der Vergangenheit von anderen Ländern der Eurozone gefordert wurden“.